Durch den Trend zur Nachhaltigkeit steigt das Interesse am Bauen mit Lehm auch bei uns wieder. Lesen Sie in diesem Blogbeitrag, welche teils überraschende Vorteile für den Einsatz des traditionellen Baustoffes sprechen.
Mit Lehm als Baustoff verbinden viele von uns einfache Hütten, die vor allem der ärmeren Bevölkerung Dritter-Welt-Ländern als Behausung dienen. Dass sich mit Lehm aber auch überaus komplexe Bauwerke formen lassen, wissen indes nur wenige. Faktum ist, dass die ältesten Hochhäuser der Welt aus dem traditionellen Baustoff gefertigt sind. Sie stehen in Shibam (Jemen), sind um die 500 Jahre alt und bis zu 30 Meter hoch. Seit 2000 Jahren errichtet man dort bereits solche Bauwerke. Etwa 500 stehen heute noch in der Stadt eng beieinander. Deshalb wird sie auch oft als „Manhattan der Wüste“ bezeichnet. Allerdings fängt das Weltkulturerbe zu bröckeln an. Der Grund liegt aber nicht etwa am Baustoff. Die Bewohner:innen ziehen nach und nach weg, weil die Stadt gerade für Junge keine Perspektive bietet. Und verlassene Gebäude verfallen eben – egal woraus sie errichtet worden sind.
In unseren Breiten, insbesondere im Norden und in der Mitte Europas, hat Lehm als Baustoff eine längere Geschichte als der Homo sapiens. In der Nähe von Prag fand man nämlich eine Hütte, die Frühmenschen (wie der Homo erectus) vor etwa 600.000 Jahren errichteten und dafür auch Lehm verwendet haben. Lehm bekam aber nach und nach das Image des Baustoffes der Armen. Erst nach den beiden Weltkriegen, als für den Wiederaufbau ein hoher Bedarf an Baumaterial vorhanden war, wurde Lehm wieder attraktiv. Sein ärmliches Image verstärkte sich aber dadurch nur noch weiter. Und im Jahr 1971 wurde in Deutschland die damalig noch gültige Deutsche Industrie Norm (DIN) zurückgezogen. Seit dem Jahr 2013 gibt es wieder solche Normen für Lehmsteine, Lehmmauermörtel und Lehmputzmörtel. Damit kehrte der Lehmbau in das moderne Baugewerbe zurück.
Gegenüber Beton, Stahl, Glas und Ziegeln (also eigentlich gebrannter Lehm) hat der traditionelle Baustoff viele Vorteile. Einige davon sind im Zusammenhang mit dem Trend zu einer nachhaltigen Lebensweise besonders überzeugend:
Lehm kann Wärme sehr gut speichern. Die tagsüber entstehende Wärme kann der Baustoff dann in den kühleren Abend- und Nachtstunden wieder abgeben. Lehm kann so die Heizperiode um bis zu sechs Wochen verkürzen und den Heizaufwand um 15 Prozent reduzieren.
Lehm ist sorptionsfähig. Das bedeutet, dass sich der in der Luft enthaltene Wasserdampf in den Poren des ungebrannten Lehms ablagern kann. Räume, die etwa über einen Lehmverputz verfügen, weisen eine sehr konstante Luftfeuchtigkeit auf. Selbst dann, wenn durchs Kochen oder Duschen viel Wasserdampf freigesetzt wird. Eine gleichbleibende Luftfeuchtigkeit schont die Schleimhäute der Bewohner und verringert das Risiko für Erkältungen. Die Gefahr der Schimmelbildung sinkt ebenfalls. Und: Lehm kann auch Gerüche und Feinstab absorbieren. Die Sorptionsfähigkeit sorgt über die Verdunstungskälte für kühlere Räume im Sommer und macht nicht nur Klimaanlagen überflüssig. Es gibt sogar Kühlschränke aus Lehm, die sich dieses Prinzip zunutze machen.
Lehm schirmt gegen elektromagnetische Strahlung ab. Wie das Münchner Institut für Hochfrequenz, Mikrowellen und Radartechnik herausfand, dämmen Lehmziegelwände gegen hochfrequente Strahlung besser als Mauern aus Hohllochziegel oder Kalksandstein. Will man sich überhaupt ganz vor hochfrequenter Strahlung von außen schützen (Stichwort „digital detox“), rät ein Experte zu Lehmtonnengewölben mit Grasabdeckung. Wenn Sie also den Beteuerungen der Mobilfunker nicht trauen, dass Handystrahlung gänzlich unbedenklich ist, dann wissen Sie nun, auf welche Baustoffe Sie setzen müssen.
Lehm entsteht durch Verwitterung. Nahezu die gesamte Erdkruste besteht daraus. Lehm ist also kein knappes Gut. Um Lehm als Baustoff auf- und vorzubereiten, benötigt man nur etwa ein Prozent jener Energie, die zur Herstellung von Mauerziegeln oder Stahlbeton notwendig sind. Ungebrannter Lehm ist übrigens jederzeit wiederverwertbar: Es reicht, trockenen Lehm zu zerkleinern und mit Wasser anzurühren. Und schon ist das Material wieder verwendbar. So gesehen sind auch Bauten aus Lehm leicht recyclebar.
Weil der Trend der Nachhaltigkeit auch das Baugewerbe immer stärker umfasst, fokussiert die Branche auch immer mehr auf den traditionellen Baustoff. Denn gerade die oben angeführten Vorteile werden sowohl von Bauherr:innen als auch den Nutzer:innen der Gebäude immer stärker eingefordert.
Lehm hat allerdings Nachteile. Besonders dann, wenn er als Baustoff in unseren Breiten eingesetzt wird. Das Material ist nämlich wasserlöslich. Für den inneren Nassbereich eignet sich Lehm also nur bedingt. Ausgeschlossen ist dessen Verwendung allerdings dort nicht. Sie will nur klug überlegt sein. Wird etwa der Spritzwasserbereich des Bades verfließt, ist der Einsatz von Lehm im Bad durchaus sinnvoll. Besonders deshalb, weil Lehm die Schimmelbildung hemmt.
Völlig ungeeignet ist Lehm als Außenputz für Gebäude, die öfters auch im Regen stehen. Glaubt man zumindest. Dass dies nicht der Fall ist, versucht gerade der deutsche Bio-Produzent und Händler Alnatura zu beweisen. Das Unternehmen baut gerade in Darmstadt seine neue Unternehmenszentrale auf. Herzstück des 55.000 Quadratmeter großen Areals soll die Alnatura Arbeitswelt werden. Das Besondere an dem 500 Mitarbeiter:innen fassenden Gebäude: Der Bürokomplex soll bei seiner Fertigstellung das europaweit größte Bürogebäude mit einer Außenfassade aus Lehm sein. Zum ersten Mal kommt dabei ein von der Vorarlberger Firma Lehm, Ton, Erde entwickeltes Fertigteil aus Stampflehm zum Einsatz.
Lehm war für uns Menschen über hunderttausende von Jahren immer schon ein fixer Bestandteil unserer Behausung. Die vielen Vorteile, vor allem die leichte Verfügbarkeit, haben ihn allerdings zum „Baustoff für Arme“ werden lassen. Stahl, Beton und Glas sind heute die erste Wahl geworden, wenn es ums Bauen geht. Dem Raumklima ist dieser Trend nicht immer zuträglich: Spätestens wenn die Sonne durch die Glasfassade sticht und die leise summende Klimaanlage die Raumtemperatur kaum zu drücken vermag. Oder wenn kahle Betonwände so viel Kälte abstrahlen, dass die Heizradiatoren zwar glühen, aber kein angenehmes Raumklima zu schaffen imstande sind. Spätestens dann keimt der Gedanke auf, dass unsere Vorväter bzw. Vormütter vielleicht doch die besseren Bauherr:innen waren. Weil sie für ihre Bauwerke auch Lehm verwendet haben.