Beherrschen Online-Händler auch bald den Lebensmittelhandel?
Der Online-Boom ist ungebrochen und bei einigen Warengruppen wie etwa Schuhen nehmen bereits Pure-Online-Player die Pole Position am Markt ein. Droht nun auch der Lebensmitteleinzelhandel (LEH), so wie wir in kennen, zu verschwinden? Lesen Sie in diesem Blogbeitrag, warum der derzeit geringe E-Commerce-Anteil bei FMCG schon sehr bald vergrößern könnte.
Die aktuelle Ausgabe der "100-Top-Retailers" des Österreichischen Handelsverbandes zeigt zwei Fakten, mit denen noch vor wenigen Jahren kaum jemand gerechnet hätte: In der Sparte Schuhe & Lederwaren hat sich erstmals ein Pure-Online-Player an die Spitze gesetzt: Zalando erwirtschaftet der Studie zufolge etwa 230 Millionen Euro in Österreich und verweist Deichmann (209 Millionen Euro) sowie Leder & Schuh (174 Millionen Euro) auf die Plätze 2 und 3. In der Sparte Generalisten herrscht eine ähnliche Situation: Von den 1,4 Milliarden Euro, die die Top-100 in dieser Sparte verdienen, nimmt Amazon 690 Millionen Euro ein und setzt sich damit weit vor den zweitplatzierten Tchibo/Eduscho (250 Millionen Euro). Und: Amazon hat es im Gesamtranking des Einzelhandels bereits unter die Top Ten geschafft.
Im stärksten Handelssektor spielt Online fast keine Rolle
Diesen dominiert die Rewe International AG (Billa, Merkur, Adeg) mit einem Umsatz von etwa 6,7 Mrd. Euro (ohne Bipa) und Spar mit 5,9 Mrd. Euro (ohne Hervis). Diese Player erzielen den Großteil ihrer Umsätze mit alltäglichen Konsumprodukten (Fast Moving Consumer Goods, FMCG). Zum Hintergrund: Der FMCG-Handel (Food und Nearfood) ist der mit Abstand umsatzstärkste Sektor. Und hier spielt die Online-Vertriebsschiene derzeit noch kaum eine Rolle: So betrug der E-Commerce-Anteil des österreichischen Branchenprimus Rewe International AG im Jahr 2017 gerade einmal 0,35 %. Statistiken berichten, dass in Deutschland die online getätigten FMCG-Umsätze 2017 gerade einmal die Milliarden-Umsatz-Grenze durchbrochen haben. Dies würde in etwa 1,7 Prozent am gesamten FMCG-Umsatz entsprechen. Dass sich das aber schon sehr bald ändern könnte, zeigt ein Blick auf andere Länder. In Südkorea beträgt der E-Commerce-Anteil bei FMCG-Produkten bereits knapp 20 Prozent.
E-Commerce im FMCG-Sektor soll rasant wachsen
Eine globale Studie von Nielsen aus dem Jahr 2018 geht davon aus, dass der globale FMCG-Online-Umsatz viermal so schnell wächst als der offline getätigte und im Jahr 2022 weltweit 400 Milliarden US-Dollar erreichen wird. Die Studienautor:innen erwarten sich, dass sich auch auf den europäischen Märkten zahlreiche Wachstumschancen für Online-FMCG auftun werden. Derzeit ist Großbritannien mit einem E-Commerce-Anteil im FMCG-Markt von 6,3 % am online-affinsten – dicht gefolgt von Frankreich mit einem Anteil von 6,1 %. "Die weitere Akzeptanz und Beschleunigung von Online-FMCG wird durch die zunehmend geschäftigen Lebensstile, die Urbanisierung und von großen Unternehmen unterstützt, die in letzter Zeit stark in den E-Commerce-Bereich investieren", betont Mathias Bernhardt, Global Business Partner, Retailer Services Nielsen in einer Presseaussendung und ergänzt: "Bessere E-Commerce-Dienste, die es den Verbrauchern ermöglichen, Zeit zu sparen, werden den Bedarf an Omnichannel-Angeboten für FMCG-Händler in ganz Europa weiter erhöhen."
Omnichannel vereint das Beste aus zwei Welten
Gefragt sind am FMCG-Markt also nicht Pure-Online-Player, sondern Omnichannel-Angebote. Denn gerade, wenn es um das Decken des täglichen Bedarfs geht, haben Pure-Online-Player erhebliche Schwächen. Die Shops haben zwar 24 Stunden und 7 Tage pro Woche geöffnet und bieten eine riesige Auswahl. Bis die Ware dann tatsächlich dort ist, wo der Konsument sie auch benötigt, braucht es Zeit und manchmal auch Geduld.
Mithilfe des Omni-Channel-Ansatzes versuchen Händler das Beste aus Brick & Mortar und Online zu verbinden und dem Konsumenten einen tatsächlichen Mehrwert bieten. Die Konsument:innen können etwa ein frisches Lebensmittel mit einem Klick auf seinem Smartphone oder auch per Sprachbefehl an seinen Assistenten – etwa Alexa – ordern. Dadurch ersparen sie sich einen Eintrag auf dem Einkaufszettel, den die möglicherweise zu Hause vergessen. Die beiden Waren können sie sich in einem nahe gelegenem Geschäft abholen und so noch begutachten, bevor sie sie tatsächlich bezahlen. Dieses Angebot ist nur durch Prozesse und Infrastrukturen aus den beiden Handelswelten – einerseits Brick & Mortar und andererseits Online – möglich. Die Zukunft der Online-Player wird gerade im FMCG-Bereich darin liegen, etwas mehr "offline" zu werden und umgekehrt wird der stationäre Handel seine Online-Aktivitäten erhöhen müssen, um auch in Zukunft noch wachsen zu können.
"Offliner" investieren online und vice versa
Diese Erkenntnis ist nicht neu: Viele Händler:innen aus der Brick & Mortar Welt investieren in den Ausbau ihres Online-Angebots um über möglichst viele Kanäle ihre Kund:innen zu bedienen: So hat die Rewe-Gruppe in Deutschland bereits sehr viel in den Online-Lebensmittelhandel investiert und liefert etwa in 75 Städten nach einer Bestellung im Internet auch frische Ware wie Fleisch, Obst und Gemüse bis vor die Haustüre der Kund:innen. Diese Investments haben zwar bis dato kaum etwas gebracht. Doch die Angst der großen LEH-Akteur:innen, von Pure-Online-Playern überrollt zu werden, ist wohl groß. Denn die haben ebenfalls den FMCG-Markt im Auge. So bietet etwa Amazon mit Amazon-Pantry seit 2015 auch in Deutschland und Österreich eine breite Palette von Produkten des täglichen Bedarfs online an. Dabei können sich Mitglieder des Amazon-Kund:innenklubs Prime Lebensmittel gegen eine pauschale Zustellgebühr vor die Haustüre liefern lassen. Im Frühling 2017 startet Amazon seinen Online-Supermarkt Amazon Fresh in Deutschland. Doch der durchschlagende Erfolg dieses Angebots blieb bis dato aus: Eine Studie, die das Potenzial von Amazon Fresh in Deutschland untersuchte, kam zum Schluss: Die Konsument:innen haben beim Lebensmittelkauf große Bedenken gegenüber einem nicht-haptischen Kauf. Und: Sie zweifeln grundsätzlich an der Kompetenz von Amazon, frische Lebensmittel anbieten zu können. Eine bei dieser Untersuchung eingefangene Einzelstimme brachte es wie folgt auf den Punkt: "Amazon soll das machen, wovon sie Ahnung haben, aber doch nicht mit Lebensmitteln handeln.“
Das Web eröffnet Direktvermarkter:innen neue Möglichkeiten
Der Grabenkampf zwischen den etablierten, aus der Brick & Mortar-Welt kommenden LEH-Größen einerseits und den Online-Playern andererseits verdeckt den Blick auf zarte Pflänzchen, die überhaupt erst durch das Web keimen konnten. Hinsichtlich der Größenordnung spielen diese neuen Geschäftsmodelle freilich kaum eine Rolle. Sie interpretieren aber den Handel insbesondere mit frischen Lebensmittel völlig neu. Der Biobauernhof Adamah aus dem Machfeld unweit von Wien begann etwa im Jahr 2001, die eigenen Produkte über einen Webshop anzubieten und die Bestellungen mit eigenen Bot:innen direkt und CO2-neutral vor die Haustüre zu liefern. Mittlerweile können Kund:innen auch Waren ordern, die der Biohof Adamah nicht selbst herstellt. Aber: Grundsätzlich macht diese Form des E-Commerce die Funktion des Händlers bzw. der Händlerin überflüssig. Bei Foodcoops ist das ebenso. Hier organisieren sich Konsument:innen in Einkaufsgenossenschaften und ordern übers Web direkt bei Produzent:innen selbst. Jedes Mitglied holt sich dann die Ware in einem zentralen Lagerraum ab. Sowohl dem Direktvertrieb als auch den Konsumgemeinschaften bietet das Web dabei völlig neue Möglichkeiten.
Fazit: Beherrschen Online-Händler:innen auch bald den Lebensmittelhandel?
Insbesondere Konsument:innen aus dem D-A-CH-Raum meiden Webshops beim Kauf von Gütern des täglichen Bedarfs noch. Studien zufolge soll sich das aber bald ändern. Wer von dem zukünftigen E-Commerce-Boom im FMCG-Bereich profitiert, ist noch nicht ausgemacht: Die etablierten, aus der stationären Welt kommenden Player investieren in ihr Online-Angebot. Dieses kann sich zumindest in Österreich und Deutschland noch mit denen der internationalen Online-Riesen durchaus messen. Die aus der E-Commerce-Welt kommenden Akteure verbessern ihre Logistik und versuchen sich auch in der stationären Welt.