Der Einsatz von innovativen Garnen birgt ein immenses Innovationspotenzial, nicht nur für die Textilbranche. Forscher:innen nehmen Naturphänomene als Vorbild (Bionik) und schaffen Garne mit neuen Funktionalitäten. Garne aus alternativen Naturfasern und Recyclingmaterialien eröffnen neue Möglichkeiten für nachhaltige Kleidung. Intelligente Garne bilden die Grundlage für funktionelles Gewebe. Erfahren Sie in diesem Blogartikel mehr über das Potenzial fortschrittlicher Garne und nachhaltiger Materialien für die Textilindustrie.
Bionik ist die Wissenschaft, die versucht, Phänomene aus der Natur in die Welt der Technik zu übertragen und damit reproduzierbar zu machen. Ein simples Beispiel ist der Klettverschluss. Den haben sich die Techniker:innen von den Kletten abgeschaut. Die Natur beherbergt auch in Sachen Garne so einiges, was sich die Technik abschauen, und die Wirtschaft nutzen könnte.
Spinnweben zum Beispiel. Die Fasern, aus denen sie gesponnen sind, zählen zu den Belastbarsten, die es derzeit auf Erden gibt. Der Faden ist elastischer als Gummi, um ein Vielfaches belastbarer als Stahl und dabei dünner als ein Haar. Zudem hemmen Spinnweben Entzündungen, sind antibakteriell und lösen keine Allergien aus. Biologisch abbaubar sind sie sowieso.
Mit diesen Eigenschaften ist ein solches Garn gleich für mehrere Bereiche überaus interessant. Das Problem dabei: Wie lässt sich ein solches Garn industriell herstellen? Das Produkt auf Spinnenfarmen herzustellen, hat sich als nicht wirtschaftlich herausgestellt.
Die Münchner Firma Amsilk hat eine Lösung dafür gefunden. Sie nennt ihr Produkt „Biosteel“. Zur Marktreife haben es die industriell hergestellten Spinnweben bis dato in die Kosmetik gebracht. Die dort verwendeten Mikropartikel sind einfacher herzustellen als komplexere Fäden. Die Spinnenseide sorgt für optimale Feuchteregulierung sowie eine seidige, weiche Haut. Amsilk arbeitet aber schon an anderen Anwendungen: Etwa Bezüge für Implantate, die aus künstlicher Spinnenseide hergestellt werden. North Face fertigt gemeinsam mit dem japanischen Bio-Tech Start-up Spiber einen Parka aus synthetischer Spinnenseide.
Seide mit Spinneneinfluss könnte auch für militärische Zwecke, in der Luftfahrt oder im Automobilbau eingesetzt werden. So tüftelt Airbus z.B. gemeinsam mit Amsilk am Einsatz von Spinnenseide im Flugzeugbau. Denn Spinnenseide ist nicht nur ein Leichtgewicht, sondern elastischer als Stahl, reißfester als Nylon und kann dreimal so viel Energie aufnehmen wie Kevlar.
Ein Beispiel, welche Möglichkeiten Gewebe aus diesen besonderen Garnen bieten und wo es heutzutage schon im Einsatz, zeigt das Video über Spinnenseide auf dieser Seite auf unterhaltsame Weise.
Baumwolle ist zwar eine Naturfaser, ihr Einsatz benötigt aber viele Ressourcen und ist deshalb alles andere als nachhaltig. Die Produktion von nur einem Kilogramm Baumwolle kann den Einsatz von bis zu 20.000 Litern Wasser erfordern. Alternativen aus der Natur gibt es einige. Eine davon hat die Lenzing AG entwickelt. Die Faser wird aus Holz gewonnen und lässt sich besonders umweltfreundlich herstellen.
Laut Lenzing AG ist Tencel® – so der registrierte Markenname des Materials – saugfähiger als Baumwolle, sanfter als Seide und kühlender als Leinen. Garne aus dieser Faser dienen zur Herstellung von Matratzen, Bettwäsche, Heimtextlilien aber auch Feuchttüchern, Babywindeln und Sportbekleidung. Der österreichische Sportbekleidungshersteller Löffler nutzt Tencel® etwa, um nachhaltig produzierte Funktions-Sportbekleidung herzustellen.
LOVR wird aus Hanfresten hergestellt und ist nachhaltig, plastikfrei und zu 100 % pflanzlich. Dank einzigartiger Technologie kann das Textil vollständig recycelt werden und ist biologisch abbaubar.
Das Start-up Re-Fresh bietet zirkuläre Lösungen, für zahlreiche Einsatzgebiete (Kosmetik, Pharmazie, Möbel oder auch Verpackungen). Dafür werden aus geschredderten Altkleidungsstücken neue Rohstoffe gewonnen. Re-Nano, eine patentierte, mikrofibrillierte Zellulose, verleiht den Produkten die erforderliche Flexibilität und Stabilität.
Das, was wir teils achtlos als Müll wegwerfen, ist oft ein wertvoller Rohstoff für Neues. Direkt aus Altkleidern lassen sich neue Garne gewinnen. Diese Möglichkeit findet schon seit einigen Jahren Anwendung und auch der Moderiese H&M ist auf diesen Zug öffentlichkeitswirksam aufgesprungen.
Eine andere Art von Müllberg will Adidas nun als Rohstofflieferant nutzen: Den Plastikmüll, der auf unseren Ozeanen schwimmt und immer mehr zum Problem wird. Der Sportartikelhersteller entwickelte gemeinsam mit der gemeinnützigen Organisation Parley for the Oceans Sportschuhe, deren Obermaterial zu 100 Prozent aus Plastikrückständen aus dem Meer gefertigt wird. Die Rohstoffe dafür sind Garne und Fasern, die aus recycelten und aufbereiteten Abfällen und (illegalen) Hochsee-Netzen gewonnen werden.
An einer anderen Stelle des Kreislaufs bewegt sich Ecoalf. Das spanische Unternehmen benutzt Fischernetze, die in Kooperation mit der Fischereiindustrie aus dem Meer gezogen werden, zur Herstellung von Kleidungsstücken. „Upcycling the Ocean“ lautet die Vision.
Die Sportbekleidung zählt die Schritte von Läufern, Bettwäsche informiert über den Zustand eines pflegebedürftigen Patient:innen und Unterhemden liefern Medizinern ein Langzeit-EKG ihres Trägers bzw. ihrer Trägerin. Allzu lange werden wir auf solche Textilien dank intelligenter Garne nicht mehr warten müssen.
Teilweise gibt es solche Produkte auch schon. Der japanische Telefonanbieter NTT DoCoMo und die japanische Chemiefirma Toray Industries haben ein intelligentes T-Shirt namens Hitoe entwickelt, das die Herzfrequenz des Menschen misst.
Eine mögliche Basis für weitere Entwicklungen von Wearables bietet ein zwischen dem Bayrischen Allgäu und dem Bodensee beheimatetes Unternehmen schon länger an. Die Zimmermann AG hat mit Novonic ein leitfähiges, elastisches Garn entwickelt, das sich ins textile Gewebe oder auch in einzelne Fäden integrieren lässt. Dieses Garn könnte auch für innovative Schutzausrüstungen interessant sein.
Für die Herstellung innovativer Garne suchen Forscher:innen immer neue Materialien – oder entdecken alte wieder neu. Ein ungewöhnliches Material nutzten Forscherinnen und Forscher des Media Labs am MIT, um funktionelles Gewebe herzustellen. Mittels Bio-3D-Drucker brachten sie genannte Bacillus Subtilis Bakterien auf den Stoff. Diese erkennen, wenn Wärme und Feuchtigkeit auf der Haut entstehen. Als Reaktion darauf ziehen sie sich zusammen. Diese Reaktion haben sich die Entwickler:innen zunutze gemacht. Das Kleidungsstück ist mit Löchern versehen, die sich öffnen und schließen. Je nachdem, ob sich die Bakterien zusammenziehen oder nicht. Sobald also die Trägerin bzw. der Träger dieser intelligenten Sportkleidung ins Schwitzen kommt, sorgen die Bakterien für eine besser Belüftung.
Mit innovativen Garnen lassen sich völlig unterschiedliche Bereiche miteinander verbinden. Daraus entstehen unglaublich vielfältige neue Möglichkeiten. Wearables für die Bekleidungsindustrie etwa, deren Entwicklung erst ganz am Anfang steht. Das Nutzen von Müll als Rohstoff für neue Fasern, Garne und Textilien ist ein anderes Anwendungsgebiet, das noch viel Entwicklungspotenzial verspricht. Mit neuen Ideen für Garn und Zwirn gehen immer auch neue wirtschaftliche Perspektiven für die Textilindustrie (aber auch andere Branchen) einher.